Quanten gegen Kirk

Ist das Raumschiff "Enterprise" - nach den Naturgesetzen - weltraumtauglich? Ein US-Physiker untersuchte die Frage.

Seine Partikel glitzerten kurz _ und schon war er weg: Hunderte Male hat sich Captain James T. Kirk vom Raumschiff "U. S. S. Enterprise" quer durchs All auf fremde Planeten beamen lassen, mal in die Arme schöner Frauen, dann wieder in die Fänge glitschiger Außerirdischer.

Über die Funktionsweise dieses weltberühmten und ungemein praktischen Verkehrsmittels war bisher sowenig bekannt wie über die Galaxien, in die Kirk und seine Raumfahrer seit fast 30 Jahren vordringen. Nun aber gelang es einem Erdling, der mehr von Logik versteht als der Vulkanier Spock, auch diese Wissenslücken zu schließen.

Der renommierte US-Physiker Lawrence M. Krauss, 41, hat alle Raumschiffhandbücher zur Kultserie durchgearbeitet und sechs Monate lang täglich vier Folgen ausgewertet: sowohl Kirks Abenteuer als auch die Techno-Trips seines Seriennachfolgers Jean-Luc Picard.

Dann hat Krauss die Enterprise-Saga mit seiner intimen Kenntnis der Relativitätstheorie und Quantenmechanik zerlegt _ in Mögliches und Unmögliches, in Science und Fiction.

Seine Niederschrift, kürzlich in den USA in einer Startauflage von 100 000 Exemplaren erschienen, droht Millionen Fans der Serie in tiefste Desillusion zu stürzen: Der "Impuls-Antrieb" der Enterprise zum Beispiel säuft dermaßen viel Sprit, daß der Tank noch vor der nächsten galaktischen Pommes-Bude so leer wäre wie das All. Und schlimmer noch: Scotty kann gar nicht beamen.

Dabei klingt das Prinzip der Beam-Maschine simpel: Der Transporter speichert die Lage aller Atome in Kirks Körper, verwandelt die Materie in Strahlung und bündelt sie auf den Zielplaneten. Dort setzt er die Teilchen nach dem gespeicherten Muster wieder zusammen.

Gemessen an den Gesetzen der Physik hält Experte Krauss kein anderes Stück Technik an Bord der Enterprise für so unplausibel wie den Transporter:

>> Ein Computer, der alle zehn Billionen Billiarden Atome eines Menschen samt ihrer Lage aufzeichnen könnte, wird wohl niemals erfunden _ er brauchte billiardenfach mehr Speicherplatz als ein Rechner, der alle Bücher dieser Welt abgespeichert hat.

>> Es wäre Kirks Gesundheit nicht zuträglich, ihn zu "dematerialisieren", wie es im Enterprise-Jargon heißt. Denn die Naturgesetze weisen nur einen gangbaren Weg, Kirks Atome voneinander zu trennen und zu Strahlung zu verflüchtigen: Der Transporter müßte den Captain auf 1000 Milliarden Grad Celsius aufheizen. Kirk wäre dann einemillionmal heißer als das Innere der Sonne.

>> Damit sich der Landetrupp vom Planeten wieder hinaufbeamen kann, brauchte die Enterprise ein Teleskop, das vom Orbit aus nicht nur Menschen erspäht, sondern auch deren einzelne Atome. Ein Gerät mit solcher Auflösung, hat Krauss errechnet, "muß einen Durchmesser von über 50 000 Kilometern haben" _ das entspricht dem Vierfachen der Erde.

>> Kein Gerät kann jemals ein Atom samt seiner Elektronen so genau ausmessen, wie es beim Beamen unumgänglich ist. Denn nach dem Unschärfeprinzip, das der deutsche Physiker Werner Heisenberg 1927 entdeckt hat, ist es nur möglich, entweder die Position oder die Geschwindigkeit eines Elektrons zu einem Zeitpunkt festzustellen - niemals beides.

Diese Kritik hat gesessen. Unter dem Druck der Logiker vor den Fernsehschirmen mußten die Enterprise-Entwickler den Transporter kürzlich quantentheoretisch nachrüsten _ mit "Heisenberg-Kompensatoren". Aber als Michael Okuda, technischer Berater der Serie, vom US-Nachrichtenmagazin Time gefragt wurde, wie diese ominöse Apparatur denn arbeitet, antwortete er nur: "Danke, sehr gut."

In jeder zweiten Folge stehen dem Chefingenieur Scotty aus Sorge um den Impuls-Antrieb Schweißperlen auf der Stirn. Zu Recht, wie Krauss belegen kann. Denn bei der Kernfusion, die sich im Reaktor der Enterprise abspielt, wird nur ein Prozent der verfügbaren Masse in Energie umgewandelt.

Wie knapp demnach der Spritvorrat ist, hat Scotty wohl nie geahnt. "Jedesmal wenn die Enterprise auf halbe Lichtgeschwindigkeit beschleunigt", hat Krauss nachgerechnet, "muß sie das 81fache ihrer gesamten Masse an Treibstoff verbrennen."

Bleibt noch der zweite Enterprise-Antrieb: die Warp-Kraft (in der deutschen Fassung der ursprünglichen Serie heißt sie Sol-Kraft).

Hier lobt Krauss den Durchblick der Drehbuchautoren, denn das Prinzip haben sie richtig verstanden. Der Warp-Antrieb beruht auf Materie und Antimaterie. Stoßen sie zusammen, setzen sie, in Form von Strahlung, große Mengen Energie frei. Sie könnte ein Raumschiff annähernd auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigen.

Jeder Laie ahnt indes, daß Kirk und Picard sich in den unendlichen Weiten des Weltraums nicht mit Lichtgeschwindigkeit begnügen können. Allein das Staatsgebiet der "Föderation der Vereinigten Planeten" dehnt sich schon über 10 000 Lichtjahre aus. Tatsächlich vermag die Enterprise dem offiziellen Handbuch zufolge notfalls mit Warp 9,6 zu fliegen _ 1909mal schneller als das Licht.

Nichtphysiker mögen solches Tempo für ein Gespinst delirierender Drehbuchautoren halten. Experte Krauss hingegen schließt den galaktischen Galopp nicht aus: Einsteins Relativitätstheorie lasse im Prinzip jede Geschwindigkeit zu.

"Die Idee ist ziemlich einfach", untertreibt Krauss. "Man muß nur die Raumzeit vor dem Bug der Enterprise zusammenziehen und hinter der Enterprise expandieren." Was hinter dem Raumschiff liegt, schießt dann in weite Ferne, das Ziel hingegen rast heran, ohne daß sich die Enterprise in ihrer Weltraumblase nennenswert bewegen muß.

Einziges Problem dabei ist die praktische Umsetzung: Damit sich der Raum ausreichend krümmt, müßte die Enterprise die Masse von einigen tausend Sonnen im All spazierenfahren.

Bei seinen Recherchen erfuhr Krauss, daß im Kreis der Enterprise-Fans erlauchte Gelehrte siedeln. Der Nobelpreisträger Steven Weinberg läßt sich regelmäßig von Kirk und Picard inspirieren, wenn er über Kalkulationen brütet. Und Stephen Hawking, Autor des Physik-Bestsellers "Eine kurze Geschichte der Zeit", hat nicht nur für Krauss Buch ein Vorwort geschrieben, er hat sich sogar, allen Unmöglichkeiten zum Trotz, höchstpersönlich an Bord der Enterprise beamen lassen.

In einer Folge, die unter dem Kommando von Captain Picard steht, zockt der stark körperbehinderte Wissenschaftler eine illustre Poker-Runde ab: Isaac Newton, Albert Einstein und der Humanoide Data sind die Verlierer.

Als Hawking bei den Dreharbeiten auch den Warp-Maschinenraum entdeckte, überraschte der Physiker mit der Mitteilung: "Ich arbeite an diesem Problem."

Nebenbei enthüllt Krauss, was viele dieser hochrangigen Physiker nach der Sendung tun: Sie meckern. Sie ergötzen sich über die dümmsten Fehler der Drehbuchautoren und spotten darüber per E-Mail.

Sie maulen, wenn ein Klingonenschiff mit lautem Kawumm im All explodiert _ als ob sich Schallwellen im Vakuum ausbreiten könnten. Ebenso blödsinnig finden sie blaue Phaserstrahlen: Lichtstrahlen sind unsichtbar, es sei denn, im All herrschte Nebel wie in der Disco.

Komplett als debil will Experte Krauss die Schöpfer von Raumschiff Enterprise aber nicht abtun. Manchmal hätten sie die Zukunft tatsächlich vorweggenommen: Die Kommunikatoren von Kirk und Spock etwa haben sich mit den Handys längst auf Erden materialisiert.

DER SPIEGEL 50/1995